Jeder Wurf ist eine Premiere
Gefragt, wie er es bei der NBA-Meisterschaft 2011 geschafft habe, „trotzdem weiter zu werfen“, auch wenn zu Beginn des Spiels von zwölf Schüssen nur einer traf, antwortete Dirk Nowitzki, einer der besten Basketballer der Welt, im Interview in der FAS vom 23. August 2015 und kurz vor der Basketballeuropameisterschaft: „Als Schütze musst du ein kurzes Gedächtnis haben“. Statt zurück zu blicken und mit sich zu hadern, weshalb von zwölf Würfen elf nicht geklappt haben, obwohl „du im Training schon Millionen von Schüssen genommen hast“, gilt es beim nächsten Freiwurf zu sehen „wie er einmal durchs Netz geht und schon kannst du die nächsten fünf oder sechs Dinger reinhauen“.
Im Sport sei das verrückt: „Irgendwas passiert da im Körper, das Selbstvertrauen kommt wieder“. Zu Beginn seiner Karriere sei dies noch anders gewesen, da „kam ich nicht wieder ran, wenn es nicht lief“. Doch sein Wunsch, immer besser zu werden und langes und intensives Training halfen ihm, sich „von Jahr zu Jahr“ zu steigern und heute „einer der größten Basketballer aller Zeiten“ zu sein.
Das millionenfache Training von Würfen allein reicht allerdings nicht aus, um den Stress einer NBA-Meisterschaft, einer Europa- oder einer Weltmeisterschaft auszuhalten. Oder mit dem unangenehmen Moment umzugehen, wenn uns im vorab vielfach geübten Vortrag der Faden reißt, wir in der Teamsitzung nicht mehr weiter wissen und anfangen zu stottern, obwohl wir uns gut und intensiv darauf vorbereitet haben oder wenn wir im Bewerbungsgespräch keine fachlichen Antworten mehr geben können. Solche Belastungen und Stresssituationen lassen sich meistens leichter mit Hilfe eines mentalen Training bewältigen, so Hans Eberspächer (1943-2014), Vorreiter der Sportpsychologie und des Mentalen Trainings.
Neben dem ständigen Üben bestimmter Fähigkeiten und damit neben dem Erwerb der sogenannten ‚Sachkompetenz‘ oder eines Expertenwissens gehören zum Antistressprogramm auch die Komponenten ‚Selbstkompetenz‘ und ‚Sozialkompetenz‘: Selbstkompetenz umfasst dabei im weitesten Sinne die sogenannte ‚mentale Kompetenz‘. Soziale Kompetenz zeigen wir, wenn wir mit anderen ‚adäquat im sozialen Kontext’ umgehen. Beide gilt es zu trainieren, wie die ‚Millionen von Schüssen‘.
Wesentliche Bestandteile des ‚mentalen Fertigkeitstrainings‘, des Mentaltrainings zur Stärkung der Selbstkompetenz sind zunächst Selbstgespräche und die inneren Bildern, die wir uns von Dingen und Situationen machen. Sagen wir uns im Selbstgespräch z. B. „ich schaffe das“ und sehen wir dabei den nächsten Freiwurf konkret vor unserem inneren Auge und trainieren wir diese Selbstgespräche und inneren Bilder, immer wieder, dann können wir diese ‚virtual reality‘, so Eberspächer, in einer Stresssituation sofort abrufen und in Realität umwandeln. Auch nach elf vergeblichen Würfen. Weitere Bestandteile des Mentaltrainings sind das Kennen der eigenen Stärken und Schwächen. Dann, im Hier und Jetzt zu denken und nicht nur in der Zukunft oder in der Vergangenheit zu sein und sich immer wieder zu entspannen. Außerdem umfasst ein Mentaltraining, sich selbst Ziele zu setzen, das eigene Tun zu analysieren und Erfolg und Misserfolg in ein richtiges Verhältnis zu bringen und nicht beim Misserfolg hängen zu bleiben oder sich selbst ständig als großartig einzuschätzen.
Hinzu kommt, so Dirk Nowitzki, die Verantwortung sich selbst und dem Team gegenüber, wenn er sagt „du weißt, die zählen auf dich“. Er beschreibt damit die soziale Kompetenz, die jeder braucht, wenn er im Leistungssport und im Beruf ‚stressfreier‘ und damit erfolgreicher handeln möchte. Soziale Kompetenz umfasst insbesondere ein gegenseitiges Wert schätzen im Team, genaues Zuhören und wahrnehmen, worum es den anderen und einem selbst in der konkreten Situation geht.
Am Ende erlauben Sach-, Selbst und Sozialkompetenz einen schonenden Umgang mit der Ressource Ich und mit derjenigen der anderen – im Leistungssport wie im Beruf.
Vielleicht ist dies das Geheimnis, weshalb ein so talentierter Fußballer wie Mario Götze in der Nationalmannschaft entscheidende Tore schießt. Vermutlich kann er dort nicht nur seine Sachkompetenz, sein überragendes fußballerisches Können, sondern auch seine Selbst- und Sozialkompetenz einsetzen und zu dem ‚Zeitpunkt optimal zu handeln‘, wo es notwendig ist: Vor dem gegnerischen Tor.
Checkliste
1.) Im Leistungssport ist mentales Training inzwischen ebenso wichtig wie körperliche Fitness. Im Berufsleben wird dies oft noch vernachlässigt. Während die fachliche Kompetenz von Mitarbeitern und Teammitgliedern gefördert wird, fehlt das Training der Selbstkompetenz und der Sozialkompetenz in vielen Unternehmen oder auch in Schulen und Universitäten.
2.) Stress entsteht im Kopf. Deshalb kann ein Mentaltraining helfen, ressourcenschonend mit sich selbst umzugehen und damit optimales Handeln zu ermöglichen. Negative Gedanken wie, das schaffe ich nie, dazu reichen meine Fähigkeiten nicht aus, unterminieren die Selbstkompetenz und verhindern eine optimale Handlungskompetenz.
3.) Selbstmotivation, Fitnesstraining und Regeneration sind die Bereiche, in denen jeder eigene sich weiterentwickeln kann, je nachdem wie stark der jeweilige Teil bereits ausgebildet ist.
Tipps zum Lesen
Eberspächer, Hans: ‚Ressource Ich‘, 2009 businessbestseller summaries, Nr. 379, und 2009, Carl Hanser Verlag, ISBN: 9783446417908
FAS, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 34, S. 27, 23. 8. 2015: ‚Wahre
Größe’
Knörzer, Wolfgang: ‚Mentale Stärke entwickeln‘, 2011, Beltz Verlag, ISBN:
9783407255563