Loslassen – Delegieren
Der Schreibtisch biegt sich unter hohen Papierstapeln, das Email-Postfach ist übervoll, Termine sind die reine Hetzerei und das Abschalten am Abend kaum mehr als ein tiefes Ein- und Ausatmen, ehe es auch nach Feierabend weiter geht mit ratternden Gedanken an den nächsten Morgen und die Tage danach. Die Aufgaben, die zu erledigen sind, erscheinen übermächtig, die Zeit dafür viel zu kurz und kein anderer ist da, der diese genauso kompetent erledigen könnte wie wir selbst.
Stopp, stimmt das? Ist es tatsächlich nicht möglich, eine der anstehenden Aufgaben oder eine Teilaufgabe an einen anderen Kollegen oder an einen Mitarbeiter zu delegieren? Nein, lautet die spontane Antwort von uns Nicht-Delegierern, ‚bis ich erst einmal alles dem anderen erklärt habe, mache ich es lieber selbst, das geht schneller‘.
Und stimmt das? Manchmal ja. Oft steckt hinter einem Nicht-Delegieren-Wollen jedoch die Angst, dass Vorgesetzte wie Mitarbeiter durch Delegieren die Kontrolle über das Bearbeiten einer Aufgabe verlieren. Wenn wir nicht alles selber machen, können wir nicht mehr zeigen, wie perfekt wir im Vergleich zu den anderen sind. Denn wenn wir zulassen, dass andere Aufgaben von uns übernehmen, dann steht zu befürchten, dass sie die Aufgabe kreativer lösen als wir und die Probleme zeitnaher vom Tisch fegen. Mit unserem ständig übervollen Schreibtisch und fortwährenden Emails mit Datum vom Wochenende versuchen wir allen zu zeigen, wie unentbehrlich wir für eine Arbeit oder für ein Projekt sind und verstecken oft genug unsere Sehnsucht dahinter anerkannt zu werden. Sätze wie ‚ohne Sie geht hier gar nichts‘, sind dann Balsam für das Selbstbewusstsein.
Was Mitarbeiter und Vorgesetzten dabei übersehen, das niemand alles kann, schon gar nicht gleichzeitig. Verantwortungsvolle Führungskräfte werden deshalb ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu bringen oder müssen sie dazu bringen, Aufgaben abzugeben und ihnen dabei gleichzeitig zu signalisieren, wie wichtig die von ihnen jetzt weiterhin zu bearbeitenden Themen für das Unternehmen oder die Institution sind. Hier fängt die Kunst des Delegierens an. Denn die vielleicht schwierigste Herausforderung beim Delegieren ist, verantwortungsvolle und leistungsbereite Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass sie loslassen und aufhören, alles selbst machen zu wollen. Schon, um sie davor zu schützen, dass die Arbeit sie immer mehr beherrscht.
Checkliste
1.) Delegieren heißt weder, den Mitarbeitern oder Kollegen Befehle zu erteilen noch ihnen kleinteilig jeden Schritt vorzugeben. Bertie Charles Forbes (1880-1954, Forbes Wirtschaftsmagazine) sagte hierzu: ‚Aufgaben delegieren heißt: Nicht mehr Personen und Tätigkeiten überwachen, sondern nur noch Ergebnisse‘.
2.) Vor jedem Delegieren steht die Analyse: Welche Aufgaben lassen sich delegieren und an wen? Was sind Routineaufgaben und wer schätzt diese Art von Arbeit? Welche will ich selbst machen, weil sie meinen Fähigkeiten entspricht und mir deshalb Freude macht? Was ist zu tun, wenn eine Krisensituation auftritt? Was ist zu tun, wenn ein Mitarbeiter oder ein Kollege alles an sich reißt und nicht loslassen kann und will?
3.) Transparente Kommunikation, klare Definition von Zielen und Teilzielen und bei Bedarf das Anpassen der Ziele an neue Bedingungen sind wichtige Bestandteile von gutem Delegieren. Ebenso konkretes Loben und ein regelmäßiges Feedback von beiden Seiten.
4.) Delegieren setzt Mut und Vertrauen voraus und bedeutet zu akzeptieren, dass alle Fehler machen, Vorgesetzte wie Mitarbeiter.
5.) Nicht jeder kann alles, aber jeder kann meistens etwas besonders gut. Gelingt es Führungskräften, an ihre Mitarbeiter Aufgaben zu delegieren, die deren Kompetenzen entsprechen, dann helfen sie ihnen, ihre Fähigkeiten weiter auszubauen und die Ängste der Mitarbeiter zu verringern, sie seien nicht ‚gut genug‘ und müssten deshalb alles bearbeiten, um zu beweisen, dass sie doch ‚gut genug‘ sind.
6.) Engagierte Unternehmen und Institutionen fördern bewusst das Delegieren von Aufgaben und unterstützen dadurch ihre Mitarbeiter, sich beruflich – und persönlich – weiter zu entwickeln und Fähigkeiten auszubauen, die sowohl für die persoönliche Berufsbiographie als auch für den unternehmerischen Erfolg von Vorteil sind.
7.) Es gibt Meister-Delegierer, die es problemlos schaffen, alles von sich weg zu delegieren, damit sie nichts zu tun und keine Verantwortung zu tragen haben – und deshalb auch keine Fehler machen. Sie verstecken sich häufig hinter Aussagen wie: ‚das kannst Du doch besonders gut‘, ‚darin bist Du doch der oder die Beste‘…
Tipps zum Lesen
Jotzo, Markus: Loslassen für Führungskräfte, 2012, Wiley-VCH Verlag 9783527506965
Kratz, Hans, J.: 30 Minuten Delegieren, 2011 (3. Auflage), GABAL Verlag, ISBN: 9783869362892