Unverbindliche Verbindlichkeit
„Ich wünschte, die Aussagen meines Kollegen* hätten mehr Verbindlichkeit. Gerade galt noch die gemeinsam getroffene Vereinbarung. Plötzlich soll sie durch eine neue ersetzt werden. Habe mich dann wieder an diese neue gewöhnt, da gilt auch die schon nicht mehr.“ Sätze wie diese sind in Betrieben und Institutionen immer wieder zu hören. Wir sehnen uns nach Sicherheit und Geborgenheit. Wir wollen wissen, worauf und auf wen Verlass ist und wem oder was gegenüber wir verpflichtet sind. Um dann im nächsten Moment festzustellen, dass es auch uns nicht immer gelingt, verbindlich zu sein. Zwar haben wir uns fest vorgenommen, Termine konsequent einzuhalten, pünktlich zu sein… und dann fordert der Alltag wieder einmal von uns, dass wir uns entscheiden, was im Moment notwendig ist. Verhalten wir uns gegenüber der Familie, den Freunden oder uns selbst gegenüber verbindlich? Und was geschieht, wenn wir uns zum Beispiel unserer Familie gegenüber verpflichtet fühlen und uns deshalb gegen unsere Freunde entscheiden und damit riskieren, sie zu enttäuschen.
Sich generell mit der Frage nach Verbindlichkeit im Leben und gegenüber dem Leben auseinander zu setzen, heißt, sich mit den beiden Polen Freiheit und Verpflichtung zu befassen und im Wechselspiel der beiden einen eigenen Standpunkt zu entwickeln, den wir immer wieder neu austarieren müssen.
Im Beruf verbindlich zu sein, z. B. in einem Team, beinhaltet, sich auf etwas zu einigen und sich gegenseitig zu vergewissern, dass diese Vereinbarung für alle gilt, ehe sie irgendwann für beendet erklärt und durch eine andere ersetzt wird. In vielen Unternehmen geschieht jedoch das genaue Gegenteil. Lange Diskussionen in Meetings beispielsweise, heiße Debatten, viele Argumente und am Ende rennen alle auseinander ohne die herausgearbeiteten Aufgaben und Ergebnisse für alle verbindlich festzulegen und zu definieren, was jeder im nächsten Schritt machen oder lassen soll und unter welchen Rahmenbedingungen. Statt einer konkreten Verpflichtung auf ein Ziel, bleibt bei allen am Ende ein ‚unverbindliches‘ Gefühl, ein „vielleicht“.
Verbindlich im Beruf zu sein bedeutet nicht zuletzt, sich auf gemeinsam festgelegte Regeln und Vereinbarungen einzulassen und zu verlassen und gleichzeitig immer wieder zu lernen und manchmal auch schmerzhaft zu akzeptieren, dass es weder uns noch unserem Gegenüber gelingt, immer verbindlich zu sein.
Aus den verschiedensten Gründen. Wie soll Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, gesagt haben?: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Nichts hindert mich, weiser zu werden.“
*wahlweise zu ersetzen durch: meinen Mitarbeiter, meinen Vorgesetzten…
Checkliste
1.) Verbindlich sein, das heißt sich verantwortlich zu fühlen für das, was wir tun und dabei dafür zu sorgen, dass unsere Taten und Worten möglichst übereinstimmen.
2.) Vertrauen und Verlässlichkeit sind für fast alle von uns wichtige Werte. Das heißt jedoch nicht, dass wir uns auf gemeinsame Werte verständigen und uns gemeinsam daran halten. Wir sind dann gerne und problemlos verbindlich, wenn wir es zu unseren Bedingungen sein können.
3.) Zwischen einer starren Verbindlichkeit und einer konturenlosen Unverbindlichkeit gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, sich verlässlich verbindlich zu verhalten ohne dogmatisch und unbeugsam zu sein.
Tipps zum Lesen
Rütschi, Gabrielle: Vielleicht, Books on Demand, 2013, ISBN-13: 9783732201990