Ich fühle mich ohnmächtig

„Ich muss es offenbar hinnehmen, dass ich bei meinem Chef einfach nichts erreiche“ beendet Reinhard T. seine Erzählung. Sein Chef hatte dem gelernten Maschinenbauer und im Fernstudium weitergebildeten Ingenieur zugesagt, dass Reinhard T. mit dem Abschluss seines Studiums eine höhere Position und eine Aufgabe bekommt, die seiner Qualifikation als Ingenieur entspricht. Nichts geschah. Noch immer ist er als Maschinenbauer statt als Ingenieur tätig. „Ich langweile mich jeden Tag mehr. Ich stehe schon zu viele lange Jahre an den Maschinen in unserem Fensterbaubetrieb.“ Mehrfach hatte er seinen Chef darum gebeten, mit ihm ein Mitarbeitergespräch über sein berufliches Fortkommen führen zu können. Vergeblich. „Wir haben keinen Betriebsrat, der mir dabei helfen könnte, das Mitarbeitergespräch durch zu setzten. Mein Chef ist mit meiner Arbeit zufrieden und lehnt jeden Gesprächstermin ab. Ich schwanke zwischen Resignation und ohnmächtiger Wut und fühle mich inzwischen ständig niedergeschlagen.“

Im Laufe des Coachings erkannte er, dass ihn sein Gefühl der Ohnmacht, seine Überzeugung, er könne nichts an seiner beruflichen Lage ändern, ihn daran hinderten, neue Ideen zu entwickeln für sein eigenes Weiterkommen. Er entdeckte, dass er sich selbst als hilflos angesehen und darin noch bestärkt hatte mit Selbstgesprächen wie „es hat sowieso keinen Zweck, ich kann einfach nichts machen“.

Im nächsten Schritt akzeptierte er, dass er es in der Hand, bzw. genauer in seinen Gedanken hat, aus welcher Perspektive er seinen konkreten Zustand betrachtet und welche Schlussfolgerungen er für sich daraus zieht, und dass er vermutlich vergeblich auf einen Gesprächsangebot seines Chefs wartet. „Ein wichtiger Anstoß für mich war die mehrfach wiederkehrende Frage im Coaching, welchen Vorteil ich davon habe, wenn ich weiterhin resignativ bleibe und in meinem Gefühl der Ohnmacht verharre. Diese Frage und die, was sich ändern würde, wenn sich nichts ändert, haben mich nachdenklich gemacht und mich dazu gebracht, mir meine Situation realistisch anzusehen und aufzuhören, immer mutloser zu werden und zu glauben, ich hätte keine Chance, etwas zu tun.“

Reinhard T. brauchte noch einige Zeit, ehe er sich dazu durchrang, seine gewohnte Arbeitsumgebung loszulassen und sich eine neue Arbeitsstelle als Ingenieur zu suchen ohne bei jeder Bewerbung zu denken, es lohne sich ja nicht, sie abzuschicken, es komme ja doch nichts dabei heraus.

   

Checkliste

 

1.) Das Gefühl der Ohnmacht tritt in den unterschiedlichsten Situationen und gegenüber den verschiedensten Dingen auf. Oft auch gegenüber der eigenen Person. „Ich bin so, ich kann nichts daran ändern“, ist Ausdruck einer Ohnmacht uns selbst gegenüber. Das Gefühl, nichts ändern zu können, ohnmächtig zu sein, hindert uns daran, eine Anstrengung zu unternehmen, z. B. etwas zu lernen, eine andere Perspektive einzunehmen, an uns zu arbeiten und uns weiter zu entwickeln oder etwas für uns zu erarbeiten, das wir – und andere – anerkennen und bewundern.

 

2.) Tief sitzende Ohnmachtsgefühle können auch zu übergroßer Beschäftigung führen. Aus der Angst heraus, wir schaffen es nicht die von uns erwartete Leistung zu erfüllen, sind wir dann besonders beschäftigt. Wir brauchen für einen wissenschaftlichen Artikel beispielsweise viele Bücher, zahlreiche Internetartikel, Gespräche mit Kollegen, Reisen zu Kongressen und verdrängen dadurch unser Gefühl, wir schaffen es ja doch nicht, wir sind hilflos und fühlen uns ohnmächtig.

 

3.) Das Gefühl der Ohnmacht entsteht wahrscheinlich schon im frühkindlichen Alter und kann sehr unterschiedliche Ursachen haben.

 

Tipps zum Lesen

 

Fromm, Erich, Zum Gefühl der Ohnmacht, Zeitschrift für Sozialforschung 6, 1937

S. 95-118

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