Ich verantworte, also bin ich

„Wie kann ich eine neue Kollegin dazu bringen, genauso die Verantwortung für den ganzen Laden hier zu übernehmen, wie wir es alle tun?“ Mit zweifelndem Blick schaut mich Verkäuferin Renate über ihre blank geputzte Fischtheke hinweg an. „Wir können ihr mehrfach am Tag sagen, dass sie die Ware nachlegen soll, wenn diese nicht mehr ausreichend da ist, sie macht es nicht. Sie geht einfach in ihre Pause und lässt dann die anderen die Arbeit für sich machen. Dabei hat sie lange in einer anderen Filiale unseres Unternehmens gearbeitet.“ Im Laufe der Unterhaltung entscheidet Renate zunächst für sich, dass sie erst einmal gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen ein Gespräch mit ihrer Kollegin suchen und falls dann noch erforderlich, im nächsten Schritt ihren Ableitungsleiter einschalten werde. Und dann beschäftigt sie die Frage, „weshalb jemand so sein kann? Sie schadet sich am meisten selbst.“

Eine schwierige Frage, an die sich eine längere Diskussion zwischen uns beiden anschließt:

Weshalb fällt es uns schwer, für unser Handeln, für unsere Gefühle Verantwortung zu übernehmen und stattdessen lieber die Dinge laufen zu lassen, auch wenn sie zu Ärger und Missstimmung führen, wie in der Abteilung von Renate? Was bringt uns dazu, andere für unsere Schwierigkeiten und Probleme verantwortlich zu machen, als erst einmal bei uns hinzuschauen und uns zu fragen, welche Antworten wir uns auf die kleinen und großen Herausforderungen in unserem beruflichen und privaten Alltag geben?

Sich für das eigene Tun verantwortlich zu fühlen, für das eigene Sich-Wohl-Fühlen, heißt, zunächst damit aufzuhören zu glauben, dass andere die Umstände unseres Lebens die Schuld tragen und deshalb dafür zuständig sind, unsere Lage zu ändern. Sich für uns einzusetzen, statt darauf so hoffen, dass andere für uns entscheiden und handeln, bedeutet, dass wir sagen müssen, was wir uns wünschen. Wir sollten nicht erwarten, dass der andere errät, was wir gerade brauchen – im Beruf wie im Privatleben. Und wir müssen lernen, dass wir bei Fehlern, die wir machen, dafür geradestehen.

Wenn wir lernen, dass wir die Verantwortung haben für unser Leben, unsere Gefühle, unsere Gedanken und unser Handeln, dann sind wir nicht mehr abhängig davon, wie andere mit uns umgehen, was sie über uns denken und wie sie uns sehen, dann entscheiden wir uns für uns und dafür, uns zu ver-antworten.

 

Checkliste

1.) Wir wünschen uns schnell, dass andere die Verantwortung übernehmen, der Politiker für seine gestrige Entscheidung, der Fußballspieler für den verschossenen Elfmeter, die Kollegin für die uns zuvor vorgelegte falsche Aufsichtsratsvorlage, die Chefin für die viele Arbeit auf unserem Schreibtisch. Viel schwerer fällt es uns zu akzeptieren, dass auch wir Verantwortung tragen, nicht nur unser Gegenüber.

2.) Wir trauen uns oft nicht, unsere Wünsche zu formulieren oder gar durchzusetzen, aus Angst, der andere weist uns zurück oder glaubt dann, wir seien für die übernommene Aufgabe nicht gut genug.

3.) Wenn wir erst einmal gelernt haben, unsere Probleme als die unsrigen zu akzeptieren und dann schauen, wie wir damit umgehen können und welche Möglichkeiten wir haben, werden wir feststellen, dass der berufliche und private Alltag meistens einfacher ist. Es fühlt sich leichter an zuzugeben, dass wir am Morgen zu spät losgefahren sind und deshalb zu spät zur Arbeit kommen, statt eine Autopanne oder einen Stau zu erfinden. Den Kolleginnen und Kollegen bleibt dann die Entscheidung, ob sie sauer auf uns sind oder über uns lachen.

 

4.) Wenn wir die Verantwortung für unser Tun und unsere Gefühle übernehmen, dann fällt es uns selten schwer, Alternativen zu entwickeln, falls der von uns ausgewählte Weg sein Ziel verfehlt. Renate hatte sich vorgenommen, ihre Schwierigkeit in ihrem Team anzusprechen und gleich zwei Lösungswege dafür entwickelt.

 

Tipps zum Lesen

Reinhard K. Sprenger, Das Prinzip Selbstverantwortung: Wege zur Motivation, 2007, Campus Verlag, ISBN: 9783593385013

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