Geschichten erzählen

‚Sie nehmen die Gewürze …‘. Wenn Sie diesen Satz hören oder lesen fragen Sie sich womöglich, „Gewürze ja, nur welche?“

‚Sie nehmen Zimt….‘. Vermutlich riechen Sie jetzt Zimt, schmecken ihn auf einem Cappuccino, in Pflaumenmarmelade oder in einem Glühwein. Statt Sachfragen zu stellen, tauchen Sie hinein in Ihre Erinnerungen. Zimt erzählt Ihnen Geschichten, Gewürze stellt abstrakte Fragen.

Geschichten erzählen, das können auch so kurze Sätze wie das berühmte Zitat „Yes, we can“ von Präsident Barack Obama im Wahlkampf 2008 beim Auftakt um die amerikanische Präsidentschaft in New Hampshire. Sie lösen ‚in Sprache gegossene Bilder’ aus, wie es der Psychotherapeut Nossrat Peseschkian (1933-2010), Begründer der Positiven Psychotherapie, formulierte. Bilder, aus denen sich dann z. B. ein Drehbuch schreiben und Geschichten dichten oder Strategien für Unternehmen und Beratungen entwickeln lassen.

Schon von jeher haben Menschen in aller Welt über Sprachbilder miteinander kommuniziert. Sie haben Geschichten, Märchen, Sagen und Legenden erfunden und weiter verbreitet, die von Gut und Böse handelten, vom Scheitern, vom Erfolg und davon, wie brutal und wie sozial Menschen sein können.

Autoren und Drehbuchautoren wissen um die Kraft der Bildersprache, wenn sie ihre Werke verfassen. Ihre Erzählkunst beruht weniger darauf, ihre Helden den direkten Lösungsweg gehen zu lassen. Sondern vielmehr, indem sie ihre Leser oder Zuschauer durch Konflikte und Widerstände der Helden ‚bei der Stange‘ halten und die ‚Story‘ am Ende zu einer Lösung führen. Nicht immer ‚gewinnt‘ der Held, fast immer ist er jedoch derjenige, der ein starkes Motiv zum Handeln hat und der sich im Laufe der ‚Story‘ weiter entwickelt.

Das ‚Storytelling‘, das Geschichten erzählen, nutzen inzwischen auch Werbefachleute, Manager, Berater, Coaches und Therapeuten. Statt wichtige Botschaften in nüchterne Zahlen und Fakten einzuwickeln, versuchen Berater beim Storytelling die ‚Geschichte’ mit Hilfe von Fragen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten: Beispielsweise wer im Team hat das stärkste Motiv, rasch zu einer Lösung zu kommen? Der Held – in der Beratung ist dies der Beratende selbst – oder eher die Kollegen und Vorgesetzten oder die Familie? Wer profitiert am meisten davon, wenn die Story gut ausgeht? Welcher Kunde, welcher Kollege, welcher Vorgesetzte? Und für wen lohnt es sich besonders, wenn das Problem sich nicht lösen lässt oder nicht gelöst werden soll? Wer leidet hauptsächlich darunter? Aus den Antworten lassen sich dann Bilder und Geschichten für einen Werbespot generieren, konkrete Konfliktlösungen erarbeiten oder in einem Unternehmen mögliche Wege und Strategien in die Zukunft aufzeigen.

Die meisten Menschen lieben Geschichten. Sie lassen sich nach- und weitererzählen, ausschmücken und interpretieren. Sie sprechen möglichst viele Sinne an, Hören, Sehen, Fühlen und beim Beispiel Zimt auch den Geschmacks- und den Geruchssinn. Wohl deshalb bleiben ihre Botschaften länger haften als ausschließlich abstrakte Zahlen auf einem Chart.

Was wäre wohl passiert, wenn Steve Jobs, Mitbegründer und CEO von Apple, am 9. Januar 2007 gesagt hätte, ‚heute zeige ich Ihnen unser neues Telefon‘, statt „heute erfindet Apple das Telefon neu“.

 

Checkliste

1.) Wenn Geschichten unsere Phantasie anregen und ins Herz gehen, dann erinnern wir uns gerne daran und erzählen sie weiter. Denn unser Gehirn speichert Informationen besonders gut, wenn wir sie mit möglichst vielen Sinnen aufnehmen können.

2.) Im Coaching kann Storytelling eine hilfreiche Methode sein. Etwa, wenn es uns gelingt, Klienten dazu einzuladen, eine Geschichte aus ihren Erfahrungen zu erzählen, in der sie die ‚Helden‘ waren. Oft können sie dann ihre damals selbst gegangenen Wege auf ihr aktuelles Problem übertragen und daraus konkrete Lösungen für sich entwickeln. Beispielsweise, wie sie sich gegen ungerechte Aussagen eines Lehrers gewehrt haben und was davon sie heute übertragen können auf Konflikte mit Vorgesetzten oder Mitarbeitern.

3.) Umgekehrt kann der Berater im Coaching eine Geschichte erzählen, in der Hoffnung, dass sie bei den Klienten ihre Bilder und Geschichten auslöst.

4.) Unternehmen nutzen Storytelling in unterschiedlichen Bereichen. Ganz klassisch lässt sich damit die Firmengeschichte nacherzählen und deutlich herausarbeiten, auf welchen Traditionen das Unternehmen beruht, wie es begonnen hat, welche Wege inzwischen gegangen wurden und welche davon gut waren.

5.) Für den Blick in die mögliche Zukunft eines Unternehmens kann Storytelling ebenfalls zielführend sein. Wenn wir uns vor unserem geistigen Auge ausmalen, wo das Unternehmen – oder wo wir – in fünf Jahren stehen, dann fällt es vermutlich leichter, Mitarbeiter und Kollegen für diese Zukunftsbilder zu begeistern als lediglich durch Kurven, die nach oben oder unten zeigen.

6.) Storytelling ruht auf mehreren Säulen. Dem Sammeln von Daten und Fakten, dem Herausarbeiten der Probleme, das Herausschälen eines Motivs, das Herbeiführen von Perspektivenwechseln, die ‚Konfrontation‘ mit Gegenargumenten und Gegenpositionen und dem Suchen nach Lösungen. Geschicktes Storytelling nutzt dabei auch die Zoom-Technik des Films. Gezielt werden bestimmte Themen in den Mittelpunkt gerückt – heran gezoomt. Auf manchmal verblüffende Weise verschieben sich dadurch die Perspektiven und neue Lösungswege werden sichtbar.

Tipps zum Lesen

Budde, Christina: Mitten ins Herz – Storytelling im Coaching, 2015, managerSeminare Verlag, ISBN: 9783958910010

managerSeminare, Heft 181, April 2013, Christian Hoffmeister: Storytelling für Strategen, S. 32-36

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