Praxisschock

„Meine ersten Arbeitswochen als Anfänger im Beruf habe ich vor allem als frustrierend empfunden. Ich war vollgepackt mit universitärem Wissen in den ungewohnten Berufsalltag gestürmt und musste schockiert erkennen, dass niemand einen roten Teppich für mich ausgerollt hatte“. Philipp K. hat Logistik mit Schwerpunkt Digitalisierung und Organisation studiert und arbeitet seit zwei Jahren in einem international tätigen Großhandelsunternehmen. „Ich war kein Alleswisser und als Berufsanfänger weitgehend ohne praktische Erfahrung. Dennoch war ich voller Idealismus und mit dem frisch gedruckten Examenszeugnis in der Tasche ziemlich sicher, ich würde das alles problemlos schaffen.“

Wie Philipp K. geht es vielen Universitätsabgängern. Sie freuen sich auf den Beruf, starten mit großer Begeisterung und kommen abrupt zum Halten. Ihnen gegenüber stehen Menschen, die eine lange Berufserfahrung haben, und die keineswegs nur enthusiastisch auf die Ideen des Neulings anspringen. Außerdem können Entscheidungen im Unternehmen länger dauern, die Wege dahin sind sorgfältig einzuhalten und statt „immer wieder neue Projekten und Herausforderungen anzugehen wie im Studium, war vor allem Routine angesagt und der praktische Alltag weit weg von der universitären Theorie.“ Eine Erfahrung, die so manchen Berufseinsteiger ernüchtert und demotiviert.

Allmählich, so sagt Philipp K., den sein Chef nach der Probezeit sofort mit einer Gehaltserhöhung fest einstellte, habe er begriffen, dass er mit etwas mehr Geschick und weniger forschen Auftritten mehr gestalten und verbessern kann, als mit ungezügeltem Eifer. Er habe inzwischen gelernt, zunächst nachzufragen und dort Neues vorzuschlagen, wo es ihm sinnvoll und machbar erscheint. Zudem trage er seine Vorschläge seither so vor, dass seine Vorgesetzten sich nicht von ihm kritisiert fühlen, wie zu Beginn seiner beruflichen Karriere. „Längst hören sie mir zu und oft genug sagen sie mir, wie zielführend sie meine Lösungen für die gerade anstehenden Prozesse finden“.

Am schwersten fiel es ihm zu erkennen, dass er trotz seines langen Studiums nicht alles wissen konnte, dass er Fehler macht und bei komplexeren Fragestellungen der Logistik auch mal wesentliche Punkte aus den Augen verloren hat. „Ohne die Kritik meiner Vorgesetzten, ihrer Geduld und der Hilfe meiner Kollegen hätte ich es nicht geschafft, durchzuhalten und dahin zu kommen, wo ich heute stehe.“

Inzwischen hat er innerbetrieblich die Aufgabe übernommen, Berufseinsteigern über die Klippen der ersten Wochen im Beruf zu helfen. „Und dazu gehört auch die manchmal fast schmerzhafte Erfahrung, dass wir als Berufsanfänger voller Sehnsucht gehofft haben, uns endlich im Arbeitsalltag beweisen zu können. Jetzt weiß ich, dass es normal ist, wenn Kolleginnen und Kollegen wenig davon begeistert sind, jemand Neues in ihre Mitte aufzunehmen. Schließlich heißt das für sie jedes Mal, die Aufgaben neu zu verteilen und oft genug werden durch die Neuen eingefahrene Rituale untereinander aufgebrochen“.

Manchmal, so Philipp K. wäre es allerdings für alle Seiten hilfreich, wenn sich die „alten Hasen“ daran erinnerten, wie hoffnungsfroh und zuversichtlich sie selbst in ihre eigene berufliche Karriere gestartet sind.

Was Philipp K. den ‚Neulingen’ nicht abnehmen kann, ist der Sprung ins kalte Wasser. „Der Praxisschock kommt – unausweichlich“.

Checkliste

 

1.) Viele Berufseinsteiger versprechen sich vom Beruf nicht nur, regelmäßig Geld zu verdienen, sondern sich darin auch verwirklichen zu können. Klingt die Stelle in der Ausschreibung ideal und ist der Berufsalltag vor allem Routine, dann kann dies schnell zu Frustration und ziemlicher Ernüchterung führen.

2.) Eine der größten Enttäuschungen für viele Berufseinsteiger ist es zu erkennen, dass niemand auf sie gewartet hat.

3.) Eine weitere Hürde ist, dass eine detaillierte Einarbeitung zu Beginn der Karriere fehlt und damit den Anfängern der Maßstab, was besonders wichtig ist und was auch noch später bearbeitet werden kann. Der Versuch, es allem und allen gerecht zu werden und möglichst alles gleichzeitig zu erledigen, führt nicht selten zu Chaos und Frustration bei den Berufsanfängern selbst und den Kollegen und Vorgesetzten.

4.) Mit dem Einstieg in den Beruf ist die Lernzeit nicht vorbei. Jetzt gilt es, das theoretisch erworbene Wissen mit der Praxis überein zu bringen, und die Erwartungen an den Beruf so zu dosieren, dass selbst zähe Schritte beim Erarbeiten unbekannter Prozesse gangbar bleiben.

5.) Auch beim Berufseinstieg gilt: zuhören, zuhören, zuhören. Und dann versuchen, so viel wie möglich und wie nötig das eigene Wissen in die tägliche Arbeit einzubringen, ohne dabei die eigenen Träume und Ziele zu verraten.

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