Leben ist Zweifeln
Im Krimi lieben wir sie, jene Kommissare und Kommissarinnen, die an den eindeutig erscheinenden Beweisen zu Lasten des gefassten Verdächtigen zweifeln, noch einmal zum Tatort zurückkehren, mit nachdenklich-skeptischem Blick in die Runde schauen und dann den Fall lösen.
Im beruflichen Alltag allerdings schätzen wir die Zweifler häufig weniger: Euphorisch hat sich das gesamte Team auf unsere Idee geeinigt, findet unseren Weg glänzend und machbar. Nur der Skeptiker im Team stellt misstrauisch unsere Ausführungen in Frage und dies leider oft mit berechtigten Argumenten. Die Begeisterung im Team ist dahin, immer mehr Zweifel kommen auf und es kostet uns einige Mühe, die geäußerten Bedenken auszuräumen und das von uns so hart erarbeitete Projekt doch noch anzuschieben. Meist mit dem Ergebnis, dass der ‚Zweifel … der Weisheit Anfang‘ ist, wie es der französische Philosoph und Naturforscher René Decartes (1596-1650) formulierte. Denn erst der fundiert vorgetragene Zweifel hat aus einem durchschnittlichen Projekt ein herausragendes Vorhaben gemacht.
Ganz anders stellt sich der Zweifel dar, wenn ihn notorische ‚Bedenkenträger‘ äußern: Jene Skeptiker, denen es nicht darum geht, mit fachlich begründeten Nachfragen ein Projekt voran zu bringen. Sie gefallen sich vielmehr in der Rolle des chronisch Misstrauenden, stellen alles und jeden in Frage und sehen alle Katastrophen lange voraus, um sie dann mit einem ‚ich habe es doch gleich gesagt‘ zu untermalen, wenn sie einmal eintreffen. Sie verstecken sich hinter ihren Bedenken, um ihre Ängste vor Veränderungen und dem unbekannten Neuen nicht zeigen zu müssen. Setzt sich ihr Nörgeln durch und bleibt immer wieder ohne konkrete Nachfragen wie z. B. die Bitte, die geäußerten Zweifel zu präzisieren, dann kann dies dazu führen, dass neue Ideen kaum einmal die Chance haben, sich durchzusetzen. Mit der Konsequenz, das alles beim Alten bleibt und Innovation keinen Platz findet im Unternehmen oder in der Institution.
Also Schluss mit dem Zweifel? Jein. Zweifel, die alles in Frage stellen und überall das Böse wittern, lassen uns verzweifeln – nicht zuletzt unsere Zweifel an uns selbst.
Eine gesunde Portion Skepsis dagegen ist in vielen Fällen angebracht. Sie ermöglicht es uns, zu erkennen, dass es auch andere Wege und Möglichkeiten für ein Problem gibt. Pathetisch formuliert, so sagt der Freiburger Privatdozent der Philosophie, „könnte man sagen: Leben ist Zweifeln“.
Checkliste
1.) Oft beginnen die Zweifel mit der kleinen Stimme in uns, die uns fragt, ob das stimmt, was wir hören oder sehen. Wir ahnen, das die Dinge nicht so sein können, wie es behauptet wird, ohne sagen zu können, weshalb oder wieso.
2.) Führen unsere Zweifel uns dazu, uns weitere und konkrete Fragen zu stellen, dann können sie uns zu neue Perspektiven ermöglichen. Und uns damit im Beruf helfen, die Lösung zu sehen, statt das Problem in den Mittelpunkt zu stellen.
3.) Ständige Zweifel an uns selbst, können langfristig unser Selbstbewusstsein untergraben und im wortwörtlichen Sinn uns zur Verzweiflung bringen.
4.) Skeptiker im Team, die mit ihren Zweifeln dazu beitragen, ein Projekt konstruktiv voran zu bringen, sollten sich mit gezielten Fragen und mit konkreten Aufgaben, für die sie verantwortlich sind, zum Mitwirken gewonnen werden. Zu kritisieren ist leicht, fundiert zu zweifeln und damit verantwortlich zu einem Vorhaben beizutragen, erfordert dagegen, einen Standpunkt zu beziehen und damit auch anderen die Möglichkeit zu bieten, daran zu zweifeln…
5.) Wer gar zuviel bedenkt, wird wenig leisten‘, sagt Wilhelm Tell zu seiner Frau Hedwig. Friedrich Schiller, Wilhelm Teil III, 1.
Tipps zum Lesen
Sommer, Andreas Urs: Die Kunst des Zweifelns, Anleitung zum skeptischen Denken, 2007, C.H. Beck Verlag, 9783406528385
www.karrierebibel.de/zweifel-skepsis/
www.sz-jugendseite.de/zweifel-gehoren-einfach-dazu-wichtige-fragen-wollen-gut-bedacht-sein-schlieslich-geht-es-um-zukunft-liebe-und-so-viel-mehr/