Das 5-Minuten-Ei
Je nach Geschmack und Ei braucht es etwa fünf Minuten, bis ein Ei weich gekocht ist. Fans von Frühstückseiern schätzen den ‚geschmeidigen‘ Geschmack und den Kontrast zwischen dem etwas ‚festeren‘ Eiweiß und dem ‚weicheren‘ Eigelb. Aha, werden Sie womöglich sagen, es ist Osterzeit deshalb geht es hier um Ostereier. Ja, allerdings spanne ich den 5-Minuten-Eier-Bogen sehr weit – vielleicht so gar zu weit und hoffe dennoch, Sie gehen mit mir den ‚weiten’ Weg: Bereits vor 5000 Jahren in China und später unter anderem in der Antike galt das Ei als ein Symbol für Fruchtbarkeit und auch heute gibt es Eierbräuche in vielen Ländern der Welt.
Übersetzen wir ‚fruchtbar‘ mit ‚ertragreich‘, ‚produktiv‘ oder ‚sinnvoll‘ und das 5-Minuten-Ei mit der Zeit, die wir uns im Beruf schenken sollten, wenn wir miteinander kommunizieren, dann lassen sich Ostern, Eier und Zeit zum Zuhören im Beruf in dieser Kolumne doch irgendwie zusammenfügen: zur 5-Minuten-Eier-Zeit. Denn für Vorgesetzte und Kollegen kann es sich lohnen, so oft es der Alltag ermöglicht, ihrem Gegenüber eine weiches-Ei-kochen-Zeit lang zuzuhören ohne gleich für alles und jedes Antworten zu wissen oder gar den anderen zu unterbrechen, weil die eigene Meinung oder die Fülle an eigenen Rat-Schlägen wichtiger erscheint als die des anderen. Natürlich, es gibt die Schwätzer und Monologisierer in allen Berufen und auf allen hierarchischen Ebenen, denen wenig am Zuhören ihres Gegenübers liegt. Die meisten Menschen neigen jedoch dazu, aufzuhören zu sprechen, wenn sie spüren, dass der andere ihnen keine oder nur beiläufige Aufmerksamkeit schenkt.
Wir sind vermutlich alle davon überzeugt, dass wir gut zuhören können, und tun es doch im beruflichen Alltag keineswegs immer. Wir fallen einem Mitarbeiter ungeduldig ins Wort, wenn dieser etwas umständlich anfängt, seine neuen Ideen zu einer Fragestellung zum ersten Mal laut auszusprechen oder wir wehren einen Kollegen ab, der vorsichtig versucht, sich mit uns über ein berufliches Problem auszutauschen. Hätten wir zugehört und dem anderen unsere 5-Minuten-Ei-Zeit geschenkt (und oft reicht deutlich weniger Zeit), dann hätten wir die gute und zielführende Idee des Mitarbeiters vernommen und gemeinsam weiter entwickelt oder wir hätten die im Raum stehende Angelegenheit rechtzeitig angepackt und gelöst.
Wir wünschen uns die Wertschätzung der anderen, genießen, wenn wir sie bekommen und versäumen immer wieder, auch den anderen zu zeigen, dass wir uns für ihre Worte und ihr Tun interessieren. Wir schreiben tastenklappernd Emails, während wir telefonieren oder suchen raschelnd Unterlagen auf dem Schreibtisch und unser ‚das finde ich wunderbar‘ klingt dann f&uuuuml;r unser Gegenüber hohl und dahin gesagt und nicht nach einer ernst gemeinten Anerkennung.
Meine Osterbotschaft für mich: Ich werde versuchen, immer wieder eine 5-Minuten-Eier-Zeit lang wirklich zuzuhören und meinen Impuls ‚oh dazu fällt mir das und das ein‘ hinten an zu stellen.
Checkliste
1.) Wenn wir zuhören, gelingt uns meistens auch das Gespräch, das wir führen möchten. Mit der 5-Minuten-Eier-Zeit geben wir unserem Gegenüber und uns die Gelegenheit, in Ruhe die Gedanken zu entwickeln und zu formulieren.
2.) Zum Zuhören gehört, dass wir die Meinung des anderen respektieren, ohne dass wir sie übernehmen und ebenfalls vertreten.
3.) Unsere Körpersprache kann unser Zuhören und damit das Gespräch befördern. Z. B., in dem wir zu unserem Gesprächspartner den Blickkontakt suchen und immer wieder aufrecht erhalten, durch Nicken, eventuell durch ein freundliches Lächeln oder durch ‚kleine‘ Worte wie ‚ich verstehe‘, ‚oh‘, spannend….
Tipps zum Lesen
Engel, Susan: The hungry mind: The origins of couriosity in childhood, 2015, Harvard University Press
Von Stumm, Sophie: The hungry mind: Intellectual curiosity as third pillar of academic performance. 2011, Perspectives on Psychological Science, 6, 574-588, 2011