Erzählungen eines Schreibtisches

Sie strahlt vom Himmel und ist eine richtige Verräterin: die Vorfrühling-Sonne, die seit einiger Zeit das gesamte Büro in klares, helles Licht taucht. Lag der Schreibtisch noch bis vor kurzem im nichtssagenden grau-blau der fahlen Wintertage, taucht er in den leuchtenden Sonnenstrahlen auf als sei er bunt geflecktes Wunder. Auf der nüchternen Schreibtischplatte hebt sich jetzt der rot-schwarze Glückskäfer ebenso deutlich ab wie die Fotos vom Sommerurlaub, der Smiley-Pin mit eigenem Namen vom letzten Firmenfest und die längst vergessene von dem Enkel selbst getöpferte grün-rote Schale mit kleinem Krimskrams.

Ein kurzes Entstauben, ein frisches Arrangement der Fotos und des Nippes und schon ist der Schreibtisch das, was er immer war, nämlich ein persönlicher Arbeitsort, der sich von den ca. 17 Millionen anderer Büroschreibtische in Deutschland abhebt. Und er ist eine Visitenkarte, die etwas über ihren Benutzer erzählt. Nicht immer zum Vorteil des Schreibtisch-Inhabers. Zu viel individuelle Dekoration lässt bei Kollegen, Mitarbeitern oder Vorgesetzten Zweifel aufkommen, ob es sich dabei noch um den Arbeitsplatz eines kompetenten Mitarbeiters handelt oder nicht eher um eine Freizeitoase.

In vielen Firmen und Institutionen ist das persönliche Ausgestalten des Büroarbeitsplatzes kein Problem, solange er auf Dritte wie beispielsweise Kunden einen professionellen Eindruck macht. Wie sich ein Schreibtisch angemessen präsentiert, hängt dabei zum einem vom Beruf seines Nutzers ab, zum anderen von den Vorgaben des jeweiligen Unternehmens. Ein völlig steriler Schreibtisch im Büro eines Kindergartens wäre vermutlich ebenso befremdlich wie der karnevalistisch fröhlicher Arbeitsplatz eines Finanzberaters.

Nach einer Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart mit 900 Teilnehmern sind Arbeitnehmern die persönlichen Dinge auf ihren Arbeitsplätze zwar wichtig und tragen zu ihrem Wohlfühlen bei. Entscheidender ist jedoch die Ausstattung des Büros wie z. B. Schreibtisch und Schreibtischstühle, die Akustik, die Enge und ob genügend Ruhe zum Nachdenken und konzentrierten Arbeiten gegeben ist. Dagegen sind laut der Untersuchung konkrete Vorgaben seitens eines Vorgesetzten, welche persönlichen Accessoires die Arbeitsplätze schmücken können und welche nicht, für die Arbeitnehmer und ihr Wohlfühlen im Büro weniger bedeutend.

Womöglich ist die Frühlingssonne zur Zeit ein guter Partner für das Ausgestalten des momentanen Arbeitsplatzes. Denn das eine oder andere persönliche Erinnerungsstück, das wir längst vergessen und auf dem Schreibtisch ‚vergraben‘ hatten und das jetzt im klaren Sonnenlicht wieder auftaucht, kann vermutlich schlicht in die große Ablage, sprich in den Papierkorb.

 

Checkliste

1.) Das Aussehen eines Schreibtisches soll nach gängiger Meinung etwas über den Nutzer des Arbeitsplatzes aussagen. ‚Volltischler‘ gelten demnach eher als undiszipliniert, während ein ‚Leertischler‘ eher als diszipliniert, jedoch häufig auch als wenig kreativ angesehen wird. Albert Einstein soll dazu gesagt haben: ‚Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann einen leerer Schreibtisch über den Menschen aus, der ihn benutzt?‘

2.) Während für den einen ein aufgeräumter Schreibtisch unabdingbar ist für gutes Arbeiten, gehört für den anderen ein gewisses Chaos dazu, damit er sich an seinem Arbeitsplatz wohl fühlt und er mit seiner Unordnung die Arbeit von Kollegen, Mitarbeiter oder Vorgesetzten nicht behindert.

3.) Trotz aller Freiheit in der individuellen Arbeitsplatzausstattung: Jedes persönliche Accessoire erzählt auch etwas über die eigene Person. Nach dem Motto: ‚Zeige mir Deinen Schreibtisch und ich sage Dir, wer Du bist‘ (Süddeutsche Zeitung online, 13. 1. 2011).

Tipps zum Lesen

Süddeutsche Zeitung online 13. 1. 2011, www.sueddeutsche.de

Kelter, Jörg, Workspace Innovation, Frauenhofer www.iao.fraunhofer.de

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