Unsere Geschichten
Manchmal ist es verblüffend. Tagelang wälzen wir ein Problem im Kopf, eine Lösung scheint es dafür nicht zu geben und kaum haben wir den Mut, mit jemand darüber zu sprechen, finden wir einen für uns gangbaren Weg dafür. Berater sagen dazu, dass wir das Problem externalisiert, d.h., nach außen verlagert haben. Wir haben beim Erzählen begonnen, das Problem zu sortieren und es in unseren Erfahrungs- und Wissensschatz zu integrieren.
Unseren Lösungsweg der Externalisierung kannten wahrscheinlich schon die Menschen in grauer Vorzeit. Denn vermutlich schon früh haben sie sich gegenseitig Geschichten erzählt und dabei auch mehr über sich erfahren und Abstand zu dem Erlebten gewonnen. Zu den ältesten, schriftlich festgehaltenen Erzählungen gehört das Gilgamesch Epos, das vermutlich 5000 Jahre alt ist.
Aus den Erzählungen der Menschheit und seine Erfahrungen mit Klienten in der Therapie entwickelte der australische Psychotherapeut Michael White (1948-2008) gemeinsam mit dem Psychotherapeuten David Epston und seiner Frau Ceryl White die sogenannte ‚narrativen Therapie‘ und daraus das ‚narrative Coaching‘.
Narratives Coaching – ähnlich wie narrative Therapie – beruht darauf, dass wir eine Fülle an eigenen Geschichten in uns tragen und dass sich unser Leben in Geschichten organisiert – in Geschichten über uns selbst, unsere Fähigkeiten, Erfolge, Wünsche und Interessen. Welche Geschichten wir erinnern, auswählen und wie wir sie erzählen, kann uns helfen, eine uns beschäftigende konkrete Situation zu interpretieren, einzuordnen, neue Perspektiven dafür zu entwickeln und eventuell die ersten Lösungsschritte zu gehen. Behutsame Nachfragen und ruhiges Zuhören des Berater unterstützen dabei den Klienten.
Narratives Coaching lässt sich über das mündliche Erzählen hinaus ausdehnen. Z. B. auf Briefe, die Klienten an sich selbst oder an die problemauslösenden Personen schreiben – ohne die Briefe je an diese abzuschicken. Sie probieren damit weitere Arten des Erzählens aus und erarbeiten sich ein noch reicheres Repertoire an Lösungsmöglichkeiten für ihre Fragen und Problemen.
Narratives Coaching ist eine von zahlreichen erfolgreichen Methoden in der Beratung. Entdecken Klient und Berater, dass sie eine besondere Freude an Sprache und Formulierungen haben und gerne mit Worten Bilder ‚malen‘, dann kann das narrative Coaching ein guter Weg sein, konkrete Herausforderungen im beruflichen Alltag anzupacken und Lösungen dafür zu finden.
Checkliste
1.) Narratives Coaching eignet sich auch für ein Selbstcoaching. Bei einem schwierigen Thema kann ich mich fragen, ob ich das bereits kenne, ob ich das in ähnlicher Form schon einmal erlebt habe, was ich damals gemacht und eventuell daraus gelernt habe. Im nächsten Schritt kann ich mir dann den Lösungsweg Schritt für Schritt aufschreiben und versuchen, ihn zu gehen. Oder ich nutze die Arbeit eines Beraters, der mich bei dem Prozess unterstützt.
2.) Ergänzen können das narrative Coaching auch ‚dritte Personen‘. Z. B. beim Thema mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Dabei werden Klienten dazu eingeladen, sich in die ‚dritte Person‘ hineinzuversetzen, etwa einen früheren Lehrer oder ehemaligen Vorgesetzten. In der Erinnerung und im Erzählen aus der Sicht der ‚dritten Person‘ entdecken Klienten dann oft, dass Außenstehende ihre eigenen Geschichten anders erlebt haben als sie selbst. Mit dem Erzählen der eigenen Geschichten aus einer anderen Perspektive werden die eigenen Geschichten häufig neu erzählt und statt uns weiter zu bestimmten, verlieren sie dadurch allmählich ihren Schrecken.
3.) Narratives Coaching ist keine Therapie, sondern hat sich aus der narrativen Therapie heraus entwickelt.
Tipps zum Lesen
White, Michael: Landkarten der narrativen Therapie, 2010, Carl Auer Verlag,
ISBN: 9783896707413