Erfolg durch Glück…
… und Zufall? Immer wieder begegne ich Menschen in der Beratung, die glauben, ihr beruflicher Erfolg sei zufällig und sie hätten einfach Glück gehabt, als sie die ihnen gestellte Aufgabe gut gelöst und ihr Projekt zielführend durchgeführt haben. Sie sind erfolgreich in ihrem Beruf, sie leisten qualitätsvolle Arbeit. Doch bei jeder neuen Herausforderung fühlen sie sich wieder genauso unsicher wie zuvor, obwohl ihre beruflichen Erfolge nachdrücklich belegen, wie kompetent sie sind.
Für sie ist es anders: Jedes Mal, wenn sie vor einer neuen Aufgabe stehen, hören sie in sich den Satz, ‚jetzt werde ich gleich versagen, dieses Mal wird mein Nichtkönnen nun wirklich auffliegen‘. Sie empfinden sich als „Hochstapler“ und stellen ihre beruflichen Fähigkeiten immer wieder neu in Frage. Sind sie über längere Zeit davon überzeugt, sie würden beruflich zu hoch stapeln, wenn sie ihre Erfolge ihrem Können statt dem Glück, dem Zufall, ihren Beziehungen oder bei Prüfungen dem freundlichen Prüferteam und manchmal auch ihrem Äußeren zuschreiben, dann rutschen sie oft immer weiter in sich zusammen und zweifeln immer häufiger an sich selbst. Sie sind überzeugt davon, ihre Erfolge seien unverdient. Vorgesetzten beobachten dann überrascht, wie kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei einer Diskussion im Team oder bei Vorträgen und Präsentationen immer weniger von dem zeigen, was sie im Alltag können. Und die zudem noch verbal ‚tiefstapeln‘ mit Sätzen wie „das kann ich nicht’, ‚dazu reicht meine Kompetenz nicht aus“.
Die Heidelberger Professorin für Pädagogische Psychologie der Universität Heidelberg Birgit Spinath spricht vom sogenannten „Hochstapler-Syndrom“ und meint damit Menschen, die ständig an sich selbst zweifeln und in der Angst leben, als „Schwindler“ ertappt zu werden und die ihre Leistungen ausschließlich äußeren Faktoren zuschreiben. Bekommen sie die Chance, den nächsten beruflichen Schritt zu wagen, verzichten sie lieber darauf, weil sie sich nicht zutrauen, so Birgit Spinath, ihr „wirkliches Potential“ auszuschöpfen
Für Menschen mit „Hochstapler-Syndrom“ kann es regelrecht befreiend sein, wenn sie erkennen, dass sie keinesfalls Blender sind, sondern Menschen mit vielen Ängsten und Befürchtungen. Dann kann allmählich die Erkenntnis reifen, dass ständig wiederkehrende Erfolge und gut bestandene Prüfungen mehr sein müssen als reiner Zufall.
Checkliste
1.) Menschen mit Hochstapler-Syndrom leiden an einem Minderwertigkeitsgefühl und vergleichen sich oft mit anderen. Sie glauben, die anderen könnten alles besser und sie seien nur Blender, deren Verhalten jetzt gleich oder zumindest bald durchschaut wird.
2.) Vermutlich leidet jeder 3. oder 4. unter dem Hochstapler-Syndrom. Bislang ist das Hochstapler-Syndrom allerdings noch wenig erforscht.
3.) Vorgesetzte und Kollegen merken oft gar nicht, dass sich hinter der Fassade eines sich selbstbewusst gebenden Mitarbeiters ein tief verunsicherter Mensch verbirgt.
4.) Das Gefühl, jetzt gleich als Hochstapler entlarvt zu werden, hat vermutlich verschiedene Ursachen. Etwa wenn die Betroffenen als Kinder von ihren Eltern ständig kritisiert und mit anderen verglichen werden.
Tipps zum Lesen
Spiegel online, 14. Juli 2014: Selbstzweifel im Studium, www.spiegel.de/unispiegel/studium/hochstapler-syndrom
Süddeutsche, 8. Juli 2014, Interview mit Prof. Birgit Spinath, www.sueddeutsche.de/karriere/hochstaplersyndrom