Babylonisches Sprachgewirr

Anlässlich der Übergabe des „Jacob-Grimme-Preis Deutsche Sprache“ an den Kabarettisten und Autor Dieter Nuhr im Oktober 2014 in Kassel sendete das Radio (hr1) einen kurzen Ausschnitt aus dessen Programm. Sinngemäß erzählte der Preisträger: Bei seinem Versuch im Fahrradladen um die Ecke ein Fahrrad zu kaufen, habe ihn der Fahrradhändler gefragt, was er sich konkret vorstelle. Ob er ein Citybike, ein Mountainbike, ein Trekkingbike, Crossbike, Single Speed, Skibike oder einen Cruiser möchte und mit welcher Ausstattung, z. B. mit einen Roadster (Lampe) und ob er eine Topeak JoeBlow (Fußfahrradpumpe) brauche. Der Kabarettist: „eigentlich wollte ich so ein Ding mit zwei Rädern und einem Sattel“.

Die beschriebene Fahrrad-Kauf-Situation lässt sich auf viele Bereiche des privaten und des beruflichen Alltags übertragen. Wir benutzen als Fachleute unsere Fachsprache, sei es als Arzt, Verkäufer, Handwerker, Wissenschaftler oder als Berater und bemerken dabei oft nicht, dass unser Gegenüber uns gar nicht versteht. Und statt uns um eine klare und erfassbare Aussage zu bitten, lassen sich die Angesprochenen nichts anmerken. Schließlich wollen sie nicht als unfähig angesehen werden. Das Ergebnis: unser „Babylonische Sprachgewirr“ sorgt dafür, dass gut gemeinte Botschaften „ungehört“ verhallen und wichtige von uns gesendete Informationen vom Zuhörenden nicht empfangen werden, die für den Verkauf, die Gesundheit, die Ausführung einer handwerklichen Leistung oder für den wissenschaftlichen Diskurs wichtig gewesen wären.

Sprache erreicht Herz und Verstand des anderen, sie kann dazu beitragen, dass durch neue Gedanken und Informationen Meinungen sich ändern und ein anderer Blick auf eine scheinbar festbetonierte Situation möglich ist.

Sprache ermutigt, schüchtert ein, sie verführt, sie stellt in Frage und sie ist ein Instrument, mit dem die Sprechenden immer wieder versuchen können, Gemeinsamkeiten herzustellen und sei es, sich im beruflichen Kontext darüber auszutauschen, wie für bestimmte Herausforderungen Lösungen gefunden werden können. Vorausgesetzt, beide Seiten versuchen inhaltlich die gleiche Sprache zu sprechen und bemühen sich darum, sich so klar und verständlich wie möglich auszudrücken und bei Bedarf rechtzeitig nachzufragen.

Das Ergebnis kann dann tatsächlich der Kauf eines solchen „Dings mit zwei Rädern und einem Sattel“ sein.

Checkliste

 

1.) Nach dem Alten Testament verhinderte Gott den Turmbau zu Babel, zu Babylon, indem er dafür sorgte, dass keiner der Bauleute den anderen mehr verstand, nachdem er sah, dass die Menschen einen Turm bis zu ihm, bis zum Himmel bauen wollten. Aufgrund der Sprachprobleme blieb der Turm unvollendet (Genesis 11,1-9). Aus dieser biblischen Erzählung resultiert der Begriff „Babylonische Sprachverwirrung“.

2.) Wir kommunizieren ständig. Dennoch verstehen wir uns oft nicht. Unter anderem deshalb, weil wir „unterschiedlich“ senden und empfangen: Z. B. senden wir den Satz „das Papier im Kopierer müsste nachgefüllt werden“ als Wunsch an unser Gegenüber, hier zu handeln und den Kopierer wieder arbeitsfähig zu gestalten. Unser Gegenüber versteht jedoch den Satz als reine Information und sieht sich dadurch nicht aufgefordert, etwas zu tun. Missverständnisse und Konflikte nicht ausgeschlossen.

3.) In der Kommunikationswissenschaft wird häufig vom Sender-Empfänger-Modell gesprochen, das anschaulich darstellt, woran selbst gut gemeinte Kommunikation scheitern kann. Stark verkürzt und vereinfacht sagt das Modell: Beide, Empfänger wie Sender, tragen zum Gelingen einer Kommunikation bei. Der Empfänger, in dem er wiedergibt, was er verstanden hat, statt anzunehmen, er habe alles verstanden. Der Sender, in dem genau zuhört, was der Empfänger auf seine Botschaft antwortet und gegebenenfalls nachfragt, wenn er den Eindruck hat, nicht alle Informationen sind so angekommen, wie er sie senden wollte.

 

Tipps zum Lesen

Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden, Band 1-4 und Lexikon Miteinander reden, vielfache Auflagen, rororo Verlag

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