Die Kreativität der gepflasterten Straße

Vincent van Gogh (1853-1890) gilt heute als einer der beliebtesten und auf dem Kunstmarkt erfolgreichsten Maler überhaupt. Sein Porträt des Dr. Gachets erzielte 1990 allein 82,5 Millionen Dollar. Der niederländische Künstler war ein Meister der Farbe und der expressiven Malerei. Er unterhielt einen ausgedehnten Briefwechsel, in dem er sich unter anderem zu allgemeinen Fragen der Kunst und Kreativität äußerte. Das Zitat „Die Normalität ist eine gepflasterte Straße; man kann gut darauf gehen – doch es wachsen keine Blumen auf ihr“ gehört wohl zu seinen berühmtesten. Van Gogh fand, dass jede Art von Kreativität ihre Berechtigung hat und Einfallsreichtum so bunt sein kann wie die Blumen auf einer Wiese. Mit diesem Zitat lädt er uns ein, den Weg der Normalität zu verlassen, um uns die Chance zu geben, unsere Phantasie zu leben und Neues, vielleicht sogar nie Dagewesenes zu kreieren, wie er es als Wegbereiter der Moderne getan hat.

Doch wie gelingt es uns im beruflichen Alltag, „die gepflasterte Straße“ zu verlassen? Und was müssen Bewerber auf Stellenanzeigen für Fähigkeiten mitbringen, wenn sie für eine Arbeit im Einzelhandel oder in der Verwaltung „viel Kreativität“ aufweisen sollen, wie es in den Anzeigen immer wieder heißt? Was beschreiben Unternehmen konkret, wenn sie davon sprechen, dass kreative Lösungen und Produkte für sie selbstverständlich seien? Weshalb ist Kreativität heute so wichtig? Oder brauchen wir sie eigentlich gar nicht?

Kreativ zu sein heißt zunächst einmal, etwas zu verändern, gewohnte Dinge aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und damit die Perspektive zu wechseln, Erfahrungen zu hinterfragen und Kenntnisse anders zu verknüpfen als bislang. Das Verlassen der „gepflasterten Straße … der Normalität“ heißt allerdings auch, nicht zu wissen, was dann geschehen wird. Keine leichte Entscheidung, denn Veränderungen machen Angst und deshalb scheint das Gewohnte, die „gepflasterte Straße, auf der man gut gehen kann“ attraktiver zu sein, als das Risiko einzugehen, etwas Neues zu wagen. Ermutigt ein Unternehmen allerdings seine Mitarbeiter dazu, die „Blumenwiese“ zu betreten, sich z. B. darauf im Kreis zu drehen, darauf zu liegen, zu sitzen oder zu springen, dann kann dieser „Weg“ zu einem Perspektivenwechsel und zu unerwarteten Ideen zu führen.

Wie die „Blumenwiese“ aussehen kann, hängt davon ab, worin Kreativität gefragt ist. Und Kreativität kann nur dann aufblühen, wenn innovative Ideen nicht sofort als wenig zielführend, sondern als wertvoll betrachtet werden.

Van Gogh ist dies zu seinen Lebzeiten nicht gelungen. Erst die Nachwelt hat erkannt, wie einzigartig seine Werke sind.

Checkliste

 

1.) Kreativität gehört zu den Fähigkeiten, die immer mehr Unternehmen von ihren Mitarbeitern erwarten. Kreativ sein gelingt allerdings nur dann, wenn jeder der am kreativen Prozess Beteiligten es bei sich und bei anderen zulässt, die eigenen Denkmuster in Frage zu stellen und durch einen Perspektivenwechsel unvoreingenommen einen neuen Kontext für ein Problem und dessen Lösung zu entwickeln.

2.) Jeder Mensch ist auf eine individuelle Art kreativ. Gelingt es, diese Vielfalt zu fördern und zum Blühen zu bringen, z. B. durch kreative Techniken wie die Walt Disney Methode (siehe OP 23. 5. 2009, Kreativität à la Mickey Mouse), dann kann dem ein Reichtum an Ideen erwachsen. Kommt noch der Mut zum Risiko hinzu, sind der Blumenvielfalt nur wenige Grenzen gesetzt.

3.) Es scheint, als garantiere uns nicht mehr das Gewohnte, sondern die Kreativität die Sicherheit, nach der wir uns sehnen, angesichts der rasch sich verändernden Bedingungen in der Berufswelt und im Alltag. Mit Kreativität schaffen wir es, uns immer wieder neu einzustellen auf den sogenannten „Wandel unserer Zeit“.

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