Ehrlich währt am längsten?

Erzähle ich meinem Chef, dass die von ihm hoch gelobte Darstellung unserer künftigen Marketingaktivitäten gar nicht von mir, sondern von meiner Mitarbeiterin stammt? Lasse ich die Kollegin in dem guten Glauben, ihre neue Frisur sei sensationell und stehe ihr gut, auch wenn ich das Gegenteil denke? Soll ich dem Personalchef beim Bewerbungsgespräch alle meine Nachteile aufzählen, damit er weiß, wen er mit mir bekommt? Währt ehrlich wirklich am längsten? Oder ist es hin und wieder schlicht besser für mich, nach dem Prinzip zu verfahren, wenn er oder sie mehr wissen will, dann kann er oder sie ja nachfragen? Und was ich nicht sage, kann auch nicht gegen mich verwendet werden?

Ehrlichkeit, soweit scheint sicher, ist eine wichtige Tugend im Beruf. Das verdeutlicht eine 2007 durchgeführte Umfrage der Industrie- und Handelskammer Stuttgart. 77% der befragten Führungskräfte hatten Ehrlichkeit im Beruf bei sich und bei ihren Mitarbeitern auf Platz eins ihrer Werteskala gesetzt, noch vor Zuverlässigkeit (76%), Vertrauen (73%) und Verantwortung (68%).

Nur, was heißt Ehrlichkeit im Beruf konkret? Dem anderen klar und deutlich zu sagen, was wir denken und fühlen und dies bei jeder Gelegenheit und in jeder Situation? Gleichgültig, ob wir unser Gegenüber mit unserer Offenheit verletzen oder nicht? Vermutlich eher nicht. Ebenso empfiehlt es sich zu prüfen, was wir wem wann konkret mitteilen, wenn wir am Beginn unserer Karriere stehen oder an einem neuen Arbeitsplatz versuchen, unseren Weg zu finden.

Ehrlichkeit ist allerdings gefragt, wenn es um Missstände in unserem Betrieb oder in unserer Abteilung geht. Vertuschen wir diese, statt auf sachlich unrichtige Dinge mit Diplomatie und Feingefühl aufmerksam zu machen, dann ist das für uns zunächst vermutlich bequemer und ohne Risiko. Langfristig werden wir für unser Schweigen oder für Unwahrheiten, die wir gar zu unserem Vorteil verbreiten, „bezahlen“. Sei es, dass sich an den zu beanstandenden äußeren Umständen unseres Jobs nichts ändert, sei es, dass unsere Kolleginnen und Kollegen und unsere Vorgesetzte uns künftig misstrauen und uns nur das Nötigste mitteilen oder uns gar nicht mehr am Informationsfluss teilhaben lassen. Trauen wir uns dagegen, uns zu positionieren, ohne unser Gegenüber dabei persönlich zu schaden, dann kann unser ‚Ehrlich sein‘ uns viel Sympathie und Anerkennung einbringen.

Leicht fällt uns Ehrlichkeit im Beruf, wenn unsere Vorgesetzte uns vorleben, dass sie gerne offen und konstruktiv mit uns zusammen arbeiten und unsere fachliche Kritik schätzen. Besonders dann, wenn sie dies mit Souveränität verkörpern.

Ehrlich währt also am längsten? Wie so oft lassen sich auch beim Thema Ehrlichkeit keine Schwarz-Weiß-Regeln aufstellen. Sie immer wieder anzustreben und statt nach der halben lieber nach der ganzen Wahrheit zu schauen, lohnt sich in beruflich-fachlichen Fragen stets.

Checkliste

 

1.) Wenn statistische Erhebungen stimmen, dann lügen wir etwa 200mal am Tag. Tun wir dies vor allem, um uns dadurch einen beruflichen Vorteil zu verschaffen, dann kann sich dies leicht für uns ins Gegenteil verkehren. Denn um Karriere zu machen, brauchen wir die Unterstützung von anderen. Sie fördern uns nur, wenn wir so ehrlich und offen wie möglich sind und wenn wir zu unseren Fehlern stehen. Zeichnen wir uns vor allem dadurch aus, dass wir ständig Halbwahrheiten über andere verbreiten, dann werden unsere Kollegen und Vorgesetzte rasch Abstand von uns nehmen.

2.) Ehrlich sein heißt, in jeder Situation genau hinzuschauen, was jetzt wichtig und richtig ist. Allenfalls dürfen Komplimente im Berufs- und im Privatleben ruhig hin und wieder ein wenig üppiger ausfallen. Mit Herz vorgetragen, tun sie uns allen gut.

3.) Absolute Ehrlichkeit im Beruf ist mit Vorsicht einzusetzen, wenn wir Gefahr laufen, durch unsere Offenheit unser Gegenüber persönlich zu verletzen und zu beleidigen. Hier ist Diplomatie und Fingerspitzengefühl gefragt.

4.) Schweigen statt geheuchelte Zustimmung kann auch einmal eine geeignete Strategie sein.

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