Ungewissheit

„Manchmal ist Ungewissheit das Einzige, auf das man sich verlassen kann“, sagte Christiane Hörbiger in „Stiller Abschied“ (Fernsehfilm ARD, 14. 10. 2013) als Hauptdarstellerin der allmählich dement werdende Firmenchefin Charlotte Brüggemann.

Was würden wir wohl sagen, wenn wir so einen Satz zum Jahreswechsel in einem der zahlreichen Horoskope gelesen hätten? Er in unserem Arbeitsvertrag stünde oder in einer Versicherungspolice, mit der wir uns gegen Risiken aller Art absichern? Wir schmieden täglich unsere Pläne, vereinbaren konkret planbare berufliche Teilziele und Ziele, mit exakten Vorgaben und Terminen, entwickeln immer genauere Modelle, mit denen wir das Risiko von Finanztransaktionen vorhersagen zu hoffen und das Wetter am liebsten gleich ganz diktieren möchten. Wir lieben das Risiko immer dann, wenn wir es beherrschen oder wenn wir zumindest glauben, wir könnten dies.

Angenommen, wir schieben unsere Ängste vor einer immer komplexeren Welt einmal kurz auf die Seite und lassen die Ungewissheit zu. Was wäre dann? Was würden wir dann tun oder was könnten wir tun?

Wir könnten zum Beispiel auf das Wort Restrisiko verzichten, weil wir wissen, dass es kein Leben ohne Risiko gibt, auch wenn wir noch so sehr mit Modellen und Risikoabschätzungen versuchen, risikolos durchs Leben zu kommen. Leben ist nicht berechenbar. Statt unsere Kräfte vor allem darauf zu konzentrieren, das Unwegsame aus unserem beruflichen und privaten Leben zu verbannen, könnten wir vielmehr unsere Bemühungen verstärken, uns beruflich krisenfester zu machen. Zum Beispiel durch gezielte Weiterbildungen, mit dem Weiterentwickeln unserer Persönlichkeit und damit unserer Fähigkeiten und Stärken. Wie im heutigen Fußball – und vermutlich macht ihn das so attraktiv – klammern wir dann uns nicht mehr an vorgegebene Hierarchien und Strukturen wie etwa ‚Spielregisseur‘ und ‚Wasserträger‘, sondern wir spielen ‚Konzeptfußball‘ mit wechselnden Positionen und flexiblen Spielzügen. Wir akzeptieren, dass es weniger darum geht, jegliche Ungewissheit auszuschalten, als kreativ mit unsicheren oder uns unbekannten Situationen umzugehen und uns darin immer wieder neu auszuprobieren.

Durch dieses Selbstvertrauen wird die Ungewissheit und die Unübersichtlichkeit des Lebens nicht geringer, das Risiko des Lebens nicht kleiner. Wenn wir jedoch gelernt und ausprobiert haben, dass wir bei neuen technischen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen, bei Veränderungen in unserem Beruf oder bei unvorhergesehenen Ereignissen mehrere Wahlmöglichkeiten haben, dann können wir aufhören, ständig alles voraussehen zu wollen und uns stattdessen auf die Chancen und Risiken einer konkreten Situation einlassen.

Checkliste

 

1.) Unsere immer komplexer und immer unsicherer werdende Welt macht vielen von uns Angst. Gleichzeitig haben wir das Gefühl, das alles immer mehr geregelt wird, und wir vor lauter Vorschriften keine individuellen Freiheiten mehr haben.

2.) Wie wir mit Ungewissheit, mit Unsicherheit, mit Unwegsamkeit umgehen, hängt auch davon ab, was ungewiss ist. Immer wieder nur unsichere Jobs, schlecht bezahlt und mit unsicherer Perspektive kann über längere Zeit zerstörerisch auf das Selbstbild wirken.

3.) Grundsätzlich bleibt, dass die Ungewissheit Teil unseres Daseins ist. Es wird auch in Zukunft neue technische und soziale Entwicklungen geben, von denen wir heute nichts ahnen. Nutzen wir die Chancen, die wir haben, uns in unseren Fähigkeiten und Stärken zu stärken, um uns so möglichst viel gesellschaftlichen und individuellen Spielraum zu ermöglichen, dann kann Ungewissheit Kreativität in uns freisetzen. Auch den Mut, dort zu regulieren, wo es notwendig und sinnvoll erscheint.

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