Wenn wir uns schuldig fühlen

„Bei mir läuft innerlich permanent der Film ab, dass es meine Schuld ist, wenn unser Unternehmen pleite macht“, erzählte Ulla B. nach einigem Zögern und auf die Frage, weshalb sie so viele Überstunden mache als Buchhalterin in einem mittelständischen Unternehmen. Von ihrem Chef wird sie geschätzt, die Kollegen respektieren sie, die Arbeit fällt ihr leicht und „die war immer das, die ich gerne machen wollte.“ Sie kam zum Coaching, weil sie hoffte, dadurch einen Weg zu finden, der ihr erlaube, weniger zu arbeiten und dennoch das gleiche Ergebnis zu erzielen. Im Laufe der Beratung erkannte Ulla B., dass sie seit Jahren davon überzeugt gewesen war, es passiere etwas ganz Schreckliches, für das sie allein verantwortlich sei, wenn sie nicht jede Buchung mehrere Mal überprüfe, immer wieder kontrolliere und noch einmal alles abwäge, obwohl sie es bereits mehr als ausreichend getan hatte.

Hinter dem tief sitzenden Schuldgefühl verbargen sich bei ihr die Angst vor einem Misserfolg, vor dem Versagen und das Gefühl, den Anforderungen der anderen nicht genügen zu können. „Ich habe mich außerdem mit meinen Überstunden gut gefühlt, auch wenn diese auf Kosten der Familie gingen und meine Ehe daran fast gescheitert wäre“, stellt sie am Ende der Coaching-Sitzungen fest. Sie erkannte, dass sie ihre Schuldgefühle – und die Überstunden – dazu benutzt hatte, vor ihren eigentlichen Gefühlen davon zu laufen, um keine Verantwortung dafür übernehmen zu müssen. Als Kind hatten ihr ihre Eltern immer wieder gesagt, dass sie Schuld habe, wenn diese unzufrieden oder missgelaunt waren und dass sie dies oder jenes tun müsse, damit es den Eltern wieder besser gehe. Ihre Eltern hatten ihre kleine Tochter damit völlig überfordert.

Nachdem Ulla B. erkannt und für sich erarbeitet hatte, wie sie ihre Wut und ihre Traurigkeit aus ihrer Kindheit mit ihren Schuldgefühlen ihrem Betrieb gegenüber zugedeckt hatte, konnte sie aufhören, sich permanent schuldig für alles und jedes zu fühlen und ihre Arbeit in der dafür vorgesehenen Zeit zur Zufriedenheit aller erledigen. „Ich verspüre immer mal wieder das Bedürfnis, für die unterschiedlichsten Situationen und nur allzu oft für jede Kleinigkeit verantwortlich zu sein, obwohl ich weiß, dass ich es nicht bin. Inzwischen habe ich allerdings gelernt, mich zu fragen, was empfinde ich wirklich und wovor habe ich tatsächlich Angst?“

 

Checkliste

 

1.) Schuldgefühle entstehen aus den verschiedenen Gründen. In der Psychologie wird zwischen rationalen oder realen und irrationalen Schuldgefühlen unterschieden. Reale Schuld empfinden wir, wenn wir gegen unsere inneren Grundsätze und Werte verstoßen. Erkennen wir dies und bewerten unser Verhalten entsprechend, dann übernehmen wir die Verantwortung für unser Handeln.

Irrationale Schuldgefühle benutzen wir häufig, um uns vor unangenehmen Gefühlen wie Angst und Schmerz zu schützen.

2.) Bei Schuldgefühlen können wir uns fragen, ob sie einen aktuellen Grund haben. Falls ja, dann handelt es sich um rationale Schuldgefühle. Wenn wir feststellen, dass unsere Schuldgefühle irrational sind, dann können uns Fragen helfen wie, welche Gefühle kommen in mir hoch, wenn ich meine Schuldgefühle zur Seite schiebe, wenn ich aufhöre, mich schuldig zu fühlen und mich von Schuldgefühlen antreiben lassen zu Dingen, die ich nicht tun will?

 

Tipps zum Lesen

Berger, Janice, Gefühlsintelligenz: alte Verletzungen überwinden, Beziehungen heilen, emotional ins Gleichgewicht kommen, 2012, Trinity Verlag, ISBN: 9783941837553

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