Die Sehnsucht der Kraniche
Ihr trompetenhaft klingender Ruf lockt den Blick zum Himmel: Wie jedes Jahr im Frühling überfliegen zurzeit wieder die Kraniche in exakter Keilform und wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen die Landschaft. Menschlich interpretiert scheinen die imposanten Zugvögel Sehnsucht zu haben nach ihrem „Zuhause“. So zielstrebig und geradlinig bewegen sie sich vorwärts in Richtung Nordosten.
Wie oft haben wir diese Sehnsucht nach etwas? Nach dem Ankommen in uns vielleicht? Nach dem uns erfüllenden Beruf? Nach der schönsten Verszeile oder dem Kunstwerk überhaupt oder einfach nach einem wertschätzenden Kompliment unseres Chefs, unserer Chefin für unsere täglich so sorgfältig und verantwortungsvoll geleistete Arbeit? Unsere Sehnsucht kann uns helfen, zu erkennen, was wir wollen, wünschen und brauchen und uns darin unterstützen, Ziele für uns zu formulieren und diese Schritt für Schritt umzusetzen. Bis hin zu der mutigen Entscheidung, doch endlich die Karriere voranzutreiben und deshalb den Arbeitgeber zu wechseln. Oder uns den Traumberuf zu schenken, doch noch Medizin zu studieren oder doch noch die Ausbildung als Verkäuferin in der Modebranche zu machen. Dies entgegen aller wohl gemeinten Tipps aus unserer Umgebung, wir seien zu alt, zu etabliert und hätten zu wenig Geld oder Freizeit oder zu geringe berufliche Perspektiven in unserem neuen Arbeitsgebiet. Oder wie 2003 der Schweizer Herzchirurg Dr. med. Markus Studer, der sich mit 57 Jahren dazu entschloss, statt weiterhin als erfolgreicher Herzchirurg zu arbeiten, ein Trucker mit eigenem Lastwagen zu werden, als er den Operationssaal mit dem Asphalt europäischer Autobahnen vertauschte.
Wir wissen, dass es selbst den Traumberuf nicht zu hundert Prozent gibt. Jeder Beruf, jede Berufung hat ihre Qualen. Unsere Sehnsucht nach dem bestmöglichen Berufsleben und Leben wird eine Utopie bleiben und sich nie vollständig erfüllen. Dennoch: Unsere Sehnsucht kann uns verdeutlichen, was uns antreibt, was uns wichtig ist, wofür wir gerne mehr tun, als gerade das Allernotwendigste. Um uns dann im nächsten Schritt vielleicht sogar die Frage zu stellen, wie wir uns unsere Sehnsucht nach Wertschätzung seitens der Führung unseres Unternehmens, nach zufriedenstellenden Beziehungen zwischen unseren Mitarbeitern und uns oder nach einem beruflichen Neuanfang Wirklichkeit werden lassen können. Zielgerichtet, wie die Kraniche auf ihrem Frühlingsflug nach Norden.
Checkliste
1.) Sich mit der eigenen Sehnsucht zu beschäftigen und sich zu fragen, was ist für mich in meinem Leben wirklich wichtig und lohnenswert, kann manchmal sehr zielführend sein, wenn es um berufliche Fragen wie Wertschätzung, Neuanfang, Traumberuf dreht.
2.) Sehnsucht ist ein komplexes, von den Psychologen auch als bittersüß charakterisiertes Gefühl, das uns zeigt, wie sehr wir uns ein ideales Berufsleben und Leben wünschen und bei dem wir gleichzeitig wissen, dass sich unsere Sehnen letztlich nicht erfüllen wird.
3.) Unsere Sehnsucht kann uns helfen, unserem Leben eine Richtung zu geben. Haben wir uns erst einmal eingestanden, was wir wirklich gerne tun möchten (anstatt später zu bedauern, es nicht getan oder nicht gelassen zu haben), können wir uns gezielt mit den Fragen befassen, wie wir unsere Wünsche konkretisieren können.
4.) Das sich nach etwas sehnen ist bei uns unterschiedlich ausgeprägt. Je stärker unsere Sehnsucht, desto größer scheint unsere Motivation zu sein, etwas anzupacken und uns damit die Chance zu schenken, dies auch zu erreichen.